Tuesday, March 3, 2015

Papst Benedikt XVI und die tridentinische Messe

Pater Andreas Endl Herz Jesu Franziskaner


Schon im ersten Jahrzehnt nach der Einführung des Missales Pauls VI. hat sich Joseph Ratzinger kritisch zur Umsetzung der Liturgiereform geäußert und die damit verbundenen Probleme in den folgenden Jahren immer wieder mit zunehmender Dringlichkeit aufgegriffen. Im Jahr 2000 hat er dem Thema der Liturgie sogar ein eigenes Buch gewidmet: "Vom Geist der Liturgie", dessen Lektüre dringend empfohlen wird. In erster Linie bemüht sich Papst Benedikt XVI. der "Hermeneutik des Bruches" entgegenzuwirken und das 2. Vatikanische Konzil in die Kontinuität der Tradition der Kirche zurückzubinden.

Euer erster Dienst für diese Welt muß daher Euer Gebet und die Feier des Gottesdienstes sein. Die Gesinnung eines jeden Priesters, eines jeden gottgeweihten Menschen muß es sein, "dem Gottesdienst nichts vorzuziehen". Die Schönheit einer solchen Gesinnung wird sich in der Schönheit der Liturgie ausdrücken, sodaß dort, wo wir miteinander singen, Gott preisen, feiern und anbeten, ein Stück Himmel auf Erden anwesend wird.

Es ist wirklich nicht vermessen, wenn man in einer auf Gott hin konzentrierten Liturgie, in den Riten und Gesängen, ein Abbild des Ewigen sieht. Wie sonst hätten unsere Vorfahren vor Hunderten von Jahren einen so erhabenen Kirchenraum schaffen können wie diesen?! Hier zieht schon die nüchterne Architektur all unsere Sinne hinauf zu dem, "was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben" (1 Kor 2,9).

Bei allem Bemühen um die Liturgie muß der Blick auf Gott maßgebend sein. Wir stehen vor Gott - er spricht mit uns, wir mit ihm. Wo immer man bei liturgischen Besinnungen nur darüber nachdenkt, wie man Liturgie attraktiv, interessant, schön machen kann, ist Liturgie schon verfallen.

Entweder sie ist opus Dei mit Gott als dem eigentlichen Subjekt oder sie ist nicht. Ich bitte an dieser Stelle: Gestaltet die heilige Liturgie aus dem Hinschauen auf Gott in der Gemeinschaft der Heiligen, der lebendigen Kirche aller Orte und Zeiten so, daß sie zu einem Ausdruck der Schönheit und Erhabenheit des menschenfreundlichen Gottes wird!

Die Seele des Gebetes ist schließlich der Heilige Geist. Immer, wenn wir beten, ist in Wirklichkeit er es, der "sich unserer Schwachheit annimmt, der für uns eintritt mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können" (vgl. Röm 8,26). Im Vertrauen auf dieses Wort des Apostels Paulus versichere ich Euch, liebe Brüder und Schwestern, daß das Gebet in Euch jene Wirkung hervorbringen wird, die man früher ausgedrückt hat, indem man Priester und Gottgeweihte schlicht und einfach "Geistliche" genannt hat.

Bischof Sailer von Regensburg hat einmal gesagt, die Priester müßten vor allem geistlich-Geistliche sein. Ich fände es schön, wenn der Ausdruck "Geistliche" wieder vermehrt in Gebrauch käme. Wichtig aber ist vor allem, daß sich jene Wirklichkeit an uns ereignet, die das Wort beschreibt: daß wir in der Nachfolge des Herrn durch die Kraft des Geistes zu "geistlichen" Menschen werden.

Eine beängstigende Verschiebung der Perspektiven (1977)
Heute muß man sich fragen, ob es überhaupt noch einen lateinischen Ritus gibt; ein Bewußtsein dafür ist sicher kaum noch vorhanden. Die Liturgie erscheint in den Augen der meisten vielmehr als eine Gestaltungsaufgabe für die jeweilige Gemeinde, in der entsprechende Kreise oft mit einem ebenso bewundernswerten wie verfehlten Eifer von Woche zu Woche eigene " Liturgien" basteln. Dieser Bruch im grundlegenden liturgischen Bewußtsein scheint das eigentlich Fatale zu sein.

Die Grenzen zwischen Liturgie und Kommers, zwischen Liturgie und Geselligkeit fallen unmerklich dahin, was sich zum Beispiel auch darin zeigt, daß manche Priester in Anwendung der bürgerlichen Höflichkeitsformen meinen, die Kommunion erst nehmen zu dürfen, wenn sie den anderen gereicht ist; daß sie nicht mehr zu sagen wagen "ich segne euch" und damit das grundlegende liturgische Gegenüber auflösen; auch die oft ungenießbaren Begrüßungen mit all ihren Banalitäten, auf die manche Gemeinden freilich inzwischen schon warten wie auf eine unentbehrliche Höflichkeit- auch sie sind hier angesiedelt. In der Zeit, in der das neue Meßbuch noch nicht erschienen, das alte aber schon als "alt" abgestempelt war, ging das Bewußtsein verloren, daß es einen "Ritus", das heißt eine vorgegebene liturgische Form gibt und daß Liturgie überhaupt nur dadurch sie selber ist, daß sie außerhalb der Verfügung der Feiernden steht. Selbst die amtlichen neuen Bücher, so gut sie in vieler Hinsicht sind, lassen da und dort allzusehr die überlegte professorale Planung erkennen und verstärken die Meinung, ein liturgisches Buch werde "gemacht", wie man auch andere Bücher macht.

In diesem Zusammenhang möchte ich eine kurze Bemerkung über den Streit um die sogenannte tridentinische Liturgie einschieben. Es gibt nämlich keine tridentinische Liturgie, und bis 1965 hätte sich kein Mensch bei diesem Wort irgend etwas vorstellen können. Das Trienter Konzil hat keine Liturgie "gemacht". Und es gibt, streng genommen, auch kein Missale Pius' V. Das Missale, das im Jahr 1570 im Auftrag Pius' V. erschien, unterschied sich nur in Winzigkeiten von der rund hundert Jahre früher erschienenen ersten Druckausgabe des Missale Romanum.

Bei der Reform Pius' V. ging es im Grunde nur darum, die spätmittelalterlichen Wucherungen, die sich weithin eingeschlichen hatten, und die Fehler, die sich beim Abschreiben und Abdrucken ergeben hatten, dadurch zu beseitigen, daß erneut das stadtrömische Missale, das von diesen Vorgängen weitgehend unberührt geblieben war, für die ganze Kirche vorgeschrieben wurde. Zugleich sollten die Unsicherheiten, die sich im Durcheinander der liturgischen Bemühungen der Reformationszeit ergeben hatten, in denen ja der Unterschied zwischen katholisch und reformatorisch weithin fließend geworden war, durch die einzige Verbindlichkeit des in Rom gedruckten Missale typicum beseitigt werden. Daß es nur um dies ging, sieht man daran, daß ausdrücklich liturgische Gewohnheiten, die älter als zweihundert Jahre waren, von der Reform ausgenommen wurden.

Bereits 1614 erschien unter Urban VIII. eine neue Ausgabe des Missale, die wiederum verschiedene Verbesserungen enthielt, und so hat vor wie nach Pius V. jedes Jahrhundert seine Spuren im Missale hinterlassen, das stets in einem kontinuierlichen Vorgang des Reinigens einerseits, des Wachsens andererseits begriffen war, in dem es doch immer dasselbe Buch blieb. Von diesen Tatsachen her muß man das Beharren auf dem "Tridentinischen Missale" als irreal kritisieren, aber doch auch Kritik an der Form üben, in der das erneuerte Missale präsentiert worden ist. Den "Tridentinern" muß man sagen, daß die Liturgie der Kirche mit dieser selbst immer lebendig und daher auch immer in einem Prozeß des Reifens ist, in dem es größere und kleinere Einschnitte geben kann.

Für die katholische Liturgie wäre ein Alter von vierhundert Jahren viel zu wenig - sie reicht wirklich bis zu Christus und den Aposteln und ist von dorther in einem einzigen stetigen Prozeß auf uns gekommen; das Missale ist so wenig mumifizierbar wie die Kirche selbst. Zugleich muß man bei allen Vorzügen des neuen Missale kritisch feststellen, daß es herausgegeben wurde, als wäre es ein von Professoren neu erarbeitetes Buch und nicht eine Phase in einem kontinuierlichen Wachstum. Derlei ist in dieser Form nie geschehen, es widerspricht dem Typus liturgischen Werdens, und erst dieser Vorgang hat überhaupt die absurde Vorstellung provoziert, als hätten Trient und Pius V. vor vierhundert Jahren ihrerseits ein Missale verfaßt. Die katholische Liturgie wurde so zu einem Produkt der frühen Neuzeit herabgedrückt und damit eine Verschiebung der Perspektiven hervorgerufen, die beängstigend ist. (Das Fest des Glaubens, S. 75 - 77)
 
Der Priester ist kein Showmaster (1996)
In unserer Liturgiereform gibt es eine Tendenz, die meiner Meinung nach falsch liegt, nämlich die vollkommene In-kulturation " der Liturgie in die moderne Welt hinein. Sie soll also noch kürzer werden; und es soll alles, was vermeintlich unverständlich ist, noch weiter daraus entfernt werden; es soll im Grunde auf eine noch "plattere" Sprache heruntertransponiert werden. Damit aber ist das Wesen von Liturgie und liturgischer Feier ganz gründlich mißverstanden. Denn in der Liturgie begreift man ja nicht einfach auf rationale Art, so wie ich etwa einen Vortrag verstehe, sondern auf vielfältige Weise, mit allen Sinnen und mit dem Hineingenommenwerden in eine Feier, die nicht von irgendeiner Kommission erfunden ist, sondern die gleichsam aus der Tiefe der Jahrtausende und letztlich der Ewigkeit her zu mir kommt.

Als das Judentum den Tempel verloren hat, hat es an den synagogalen Festen und Riten festgehalten und wurde vor den großen Festriten als Riten des gläubigen Hauses zusammengehalten. Es liegt eine bestimmte Art von gemeinsamer Lebensform in den Riten, in denen es nicht auf die pure Oberflächenverständlichkeit ankommt, sondern in denen die große Kontinuität der Glaubensgeschichte sich aussagt und sich sozusagen als eine Vollmacht darstellt, die nicht von dem einzelnen kommt. Der Priester ist eben kein Showmaster, der sich jetzt etwas ausdenkt und sehr geschickt vermittelt. Er darf im Gegenteil als Showmaster völlig unbegabt sein, weil er etwas ganz anderes vertritt und es gar nicht auf ihn ankommt.

Natürlich gehört zur Liturgie auch Verständlichkeit, und deswegen muß das Wort Gottes gut verlesen und dann gut interpretiert und ausgelegt werden. Aber zur Verständlichkeit des Wortes kommen andere Weisen des Verstehens. Vor allem ist sie nicht etwas, was sich immer wieder neue Kommissionen ausdenken. Auf diese Weise wird sie zu einer selbstgemachten Sache, ob die Kommissionen dann in Rom, in Trier oder in Paris sitzen. Sie muß statt dessen wirklich ihre große Kontinuität haben, ihre letzte Unbeliebigkeit, in der ich wirklich den Jahrtausenden und durch sie hindurch dem Ewigen begegne und in eine Feiergemeinschaft hineingehoben werde, die etwas anderes ist, als was Komitees oder Festkomitees sich ausdenken.

Ich glaube, hier ist eine Art von Klerikalismus entstanden, von der her ich dann auch die Forderung nach der Frauenordination besser verstehen kann. Dem Priester wird in Person eine Wichtigkeit zugemessen, er muß es geschickt machen können und muß das alles gut darstellen können. Er ist das eigentliche Zentrum der Feier. Folglich muß man sagen: Warum nur diese Sorte von Leuten? Wenn er dagegen als Person ganz zurücktritt und wirklich nur Vertretung ist und lediglich das durch seinen gläubigen Vollzug hinstellt, dann kreist es eben nicht mehr um ihn, sondern dann tritt er zur Seite, und etwas Größeres tritt in Erscheinung. Insofern muß man, glaube ich, die Wucht und die Kraft der unmanipulierbaren Tradition wieder stärker sehen. Ihre Schönheit und ihre Größe rührt auch jenen an, der nicht alle Details rational verarbeiten und verstehen kann. In der Mitte steht dann freilich das Wort, das verkündigt und ausgelegt wird.

Wäre es nicht denkbar, daß man, um dieser Gleichmacherei und Entzauberung entgegenzuwirken, den alten Ritus wieder reaktiviert?

Das würde allein keine Lösung sein. Ich bin zwar der Meinung, daß man viel großzügiger den alten Ritus all denen gewähren sollte, die das wünschen. Es ist überhaupt nicht einzusehen, was daran gefährlich oder unannehmbar sein sollte. Eine Gemeinschaft, die das, was ihr bisher das Heiligste und Höchste war, plötzlich als strikt verboten erklärt und das Verlangen danach geradezu als unanständig erscheinen läßt, stellt sich selbst in Frage. Denn was soll man ihr eigentlich noch glauben? Wird sie nicht morgen wieder verbieten, was sie heute vorschreibt? Aber eine einfache Rückkehr zum Alten wäre, wie gesagt, keine Lösung. Unsere Kultur hat sich in den letzten dreißig Jahren so radikal verändert, daß eine ausschließlich in Latein gefeierte Liturgie ein Fremdheitserlebnis mit sich brächte, das für viele unüberwindbar wäre.

Was wir brauchen, ist eine neue liturgische Erziehung, besonders auch der Priester. Es muß wieder klar werden, daß Liturgiewissenschaft nicht dazu da ist, ständig neue Modelle hervorzubringen, wie es für die Autoindustrie passen mag. Sie ist dazu da, in das Fest und in die Feier einzuführen, den Menschen für das Mysterium fähig zu machen. Da sollte man nicht nur von der Ostkirche lernen, sondern von den Religionen in der Welt insgesamt, die alle wissen, daß Liturgie etwas anderes als das Erfinden von Texten und Riten ist, dass sie gerade vom Unmanipulierbaren lebt. Die Jugend spürt das sehr stark. Zentren, in denen die Liturgie ohne Mätzchen ehrfürchtig und groß gefeiert wird, ziehen an, auch wenn man nicht jedes Wort versteht. Solche maßstäblichen Zentren brauchen wir. Leider ist bei uns die Toleranz selbst für abenteuerliche Spielereien fast unbegrenzt, die Toleranz dagegen für die alte Liturgie praktisch nichtexistent. Damit ist man sicher auf dem falschen Weg. (Salz der Erde, S. 186 - 188)


Die Kirchenkrise beruht weitgehend auf dem Zerfall der Liturgie (1997)
Das zweite große Ereignis am Anfang meiner Regensburger Jahre war die Veröffentlichung des Missale Pauls VI., verbunden mit dem fast völligen Verbot des bisherigen Missale nach einer Übergangsphase von nur einem halben Jahr.

Daß nach einer Zeit des Experimentierens, das die Liturgie oft tief entstellt hatte, wieder ein verbindlicher liturgischer Text vorlag, war zu begrüßen. Aber ich war bestürzt über das Verbot des alten Missale, denn etwas Derartiges hatte es in der ganzen Liturgiegeschichte nie gegeben. Man erweckte zwar den Eindruck, als ob dies etwas ganz Normales sei. Das bisherige Missale sei von Plus V. 1570 im Anschluß an das Konzil von Trient geschaffen worden; so sei es normal, daß nach 400 Jahren und einem neuen Konzil ein neuer Papst ein neues Meßbuch vorlege. Aber die historische Wahrheit ist anders. Plus V hatte lediglich das vorhandene Missale Romanum überarbeiten lassen, wie dies im lebendigen Wachstum der Geschichte die Jahrhunderte hindurch normal ist. So hatten auch viele seiner Nachfolger dieses Missale neu bearbeitet, ohne je ein Missale gegen ein anderes zu stellen. Es war ein kontinuierlicher Prozeß des Wachsens und des Reingens, in dem doch die Kontinuität nie zerstört wurde.

Ein Missale Plus' V, das von ihm geschaffen worden wäre, gibt es nicht. Es gibt nur die Überarbeitung durch Plus V als Phase in einer langen Wachstumsgeschichte. Das Neue nach dem Konzil von Trient war anderer Natur: Der Einbruch der Reformation hatte sich vor allem in der Weise liturgischer "Reformen" vollzogen. Es gab ja nicht einfach katholische und protestantische Kirche nebeneinander; die Spaltung der Kirche vollzog sich fast unmerklich und am sichtbarsten wie geschichtlich wirksamsten in der Veränderung der Liturgie, die wieder lokal sehr verschieden ausfiel, so daß auch da die Grenzen zwischen noch katholisch und nicht mehr katholisch oft gar nicht auszumachen waren.

In dieser Situation der Verwirrung, die durch das Fehlen einer einheitlichen liturgischen Gesetzgebung und den an sich bestehenden liturgischen Pluralismus des Mittelalters möglich geworden war, entschied der Papst, daß nun das Missale Romanum, das Meßbuch der Stadt Rom als zweifelsfrei katholisch überall dort einzuführen sei, wo man nicht auf Liturgien verweisen konnte, die wenigstens 200 Jahre alt waren. Wo dies der Fall war, konnte man bei der bisherigen Liturgie bleiben, weil ja dann deren katholischer Charakter als gesichert gelten durfte. Von einem Verbot eines bisherigen und bisher rechtmäßig gültigen Missale konnte also gar keine Rede sein.

Das nunmehr erlassene Verbot des Missale, das alle Jahrhunderte hindurch seit den Sakramentaren der alten Kirche kontinuierlich gewachsen war, hat einen Bruch in die Liturgiegeschichte getragen, dessen Folgen nur tragisch sein konnten. Eine Revision des Missale, wie es sie oft gegeben hatte und die diesmal einschneidender sein durfte als bisher, vor allem wegen der Einführung der Muttersprache, war sinnvoll und mit Recht vom Konzil angeordnet.

Aber nun geschah mehr: Man brach das alte Gebäude ab und baute ein anderes, freilich weitgehend aus dem Material des Bisherigen und auch unter Verwendung der alten Baupläne. Es gibt gar keinen Zweifel, daß dieses neue Missale in vielem eine wirkliche Verbesserung und Bereicherung brachte, aber daß man es als Neubau gegen die gewachsene Geschichte stellte, diese verbot und damit Liturgie nicht mehr als lebendiges Wachsen, sondern als Produkt von gelehrter Arbeit und von juristischer Kompetenz erscheinen ließ, das hat uns außerordentlich geschadet. Denn nun mußte der Eindruck entstehen, Liturgie werde "gemacht", sie sei nichts Vorgegebenes, sondern etwas in unseren Entscheiden Liegendes. Und dann ist es wiederum logisch, daß man nicht die Gelehrten und nicht eine zentrale Behörde allein als Entscheidungsträger anerkennt, sondern daß zuletzt jede "Gemeinde" sich ihre Liturgie selber geben will.

Aber wo Liturgie nur selbstgemacht ist, da eben schenkt sie uns nicht mehr, was ihre eigentliche Gabe sein sollte: die Begegnung mit dem Mysterium, das nicht unser Produkt, sondern unser Ursprung und die Quelle unseres Lebens ist. Eine Erneuerung des liturgischen Bewußtseins, eine liturgische Versöhnung, die wieder die Einheit der Liturgiegeschichte anerkennt, das Vatikanum nicht als Bruch, sondern als Entwicklungsstufe versteht, ist für das Leben der Kirche dringend vonnöten. Ich bin überzeugt, daß die Kirchenkrise, die wir heute erleben, weitgehend auf dem Zerfall der Liturgie beruht, die mitunter sogar so konzipiert wird, "etsi Deus non daretur": daß es in ihr gar nicht mehr darauf ankommt, ob es Gott gibt und ob er uns anredet und erhört.

Wenn aber in der Liturgie nicht mehr die Gemeinschaft des Glaubens, die weltweite Einheit der Kirche und ihrer Geschichte, das Mysterium des lebendigen Christus erscheint, wo erscheint Kirche in ihrem geistlichen Wesen dann noch? Dann feiert die Gemeinde nur sich selbst, aber das lohnt sich nicht. Und weil es die Gemeinde aus sich gar nicht gibt, sie vielmehr immer nur durch den Glauben vom Herrn her überhaupt als Einheit entsteht, ist Zerfall in Parteiungen aller Art, das parteiliche Gegeneinander in einer sich selbst zerreißenden Kirche unter diesen Bedingungen unwiderruflich. Darum brauchen wir eine neue Liturgische Bewegung, die das eigentliche Erbe des II. Vatikanischen Konzils zum Leben erweckt. (Aus meinem Leben, S. 172 - 174)
Wer die alte Liturgie verwirft, verwirft die ganze Vergangenheit der Kirche (2000)
Das Zweite Vatikanische Konzil hatte ohne Zweifel organisches Wachstum und Erneuerung im Auge. Wir müssen aber sehen, daß es heute weitgehend Tendenzen gibt, die nun einfach Montage und auch Demontage betreiben - und damit etwas tun, was mit dem Wesen der Liturgie unvereinbar ist. Man kann nicht einfach in professoralen Kommissionen erdenken, wie es pastoral besser ankommt; wie es praktischer ist und dergleichen Dinge mehr, sondern man muß mit dem großen Respekt vor dem, was die Fracht der Jahrhunderte in sich trägt, sehen, wo sinnvolle Ergänzungen oder Beschneidungen nötig und möglich sind.

Und das sollte wirklich eine große Mahnung an alle sein, die mit der Liturgie zu tun haben. Sie sollten in diesem Geist des Dienens an dem lebendig Gewachsenen, das uns den Glauben aller Jahrhunderte zubringt, ihren Dienst tun, und nicht als selbstmächtige Könner das Bessere erdenken und fabrizieren wollen.

Die Kritik an der derzeitigen Liturgie ist unüberhörbar geworden. Vielen ist sie nicht mehr heilig genug. Braucht man eine Reform der Reform, um sie wieder heiliger zu machen? Zumindest braucht man wieder ein neues liturgisches Bewußtsein, damit dieser macherische Geist verschwindet. Es ist ja auch soweit gekommen, daß sich Liturgiekreise für den Sonntag selber die Liturgie zurechtbasteln. Was hier geboten wird, ist sicher das Produkt von ein paar gescheiten, tüchtigen Leuten, die sich etwas ausgedacht haben. Aber damit begegne ich eben nicht mehr dem ganz Anderen, dem Heiligen, das sich mir schenkt, sondern der Tüchtigkeit von ein paar Leuten. Und ich merke, das ist es nicht, was ich suche. Das ist zu wenig, und ist etwas anderes. Das Wichtigste ist heute, daß wir wieder Respekt vor der Liturgie und ihrer Unmanipulierbarkeit haben. Daß wir sie wieder als das lebendig Gewachsene und Geschenkte erkennen lernen, in dem wir an der himmlischen Liturgie teilnehmen, Daß wir in ihr nicht die Selbstverwirklichung suchen, sondern die Gabe, die uns zukommt.

Das, glaube ich, ist das erste, daß dieses eigentümliche oder eigenmächtige Machen wieder verschwinden und der innere Sinn für das Heilige erwachen muß. In einem zweiten Schritt wird man dann sehen können, in welchem Bereich sozusagen zuviel weggestrichen wurde, so daß der Zusammenhang mit der ganzen Geschichte wieder deutlicher und lebendiger werden muß. Ich selber habe in diesem Sinn von der Reform der Reform gesprochen. Dies sollte meiner Meinung nach aber zunächst einmal vor allem ein erzieherischer Prozeß sein, der Einhalt gebietet gegenüber einem Zertrampeln der Liturgie mit Selbsterfundenem.

Wichtig für die rechte Bewußtseinsbildung in Sachen Liturgie ist auch, daß endlich die Ächtung der bis 1970 gültigen Form von Liturgie aufhören muß. Wer sich heute für den Fortbestand dieser Liturgie einsetzt oder an ihr teilnimmt, wird wie ein Aussätziger behandelt; hier endet jede Toleranz. Derlei hat es in der ganzen Geschichte nicht gegeben, man ächtet damit ja auch die ganze Vergangenheit der Kirche. Wie sollte man ihrer Gegenwart trauen, wenn es so ist? Ich verstehe, offen gestanden, auch nicht, warum viele meiner bischöflichen Mitbrüder sich weitgehend diesem Intoleranzgebot unterwerfen, das den nötigen inneren Versöhnungen in der Kirche ohne einsichtigen Grund entgegensteht. (Gott und die Welt, S. 447 - 449)
 
Latein: Nie "abgeschafft"; "Volksaltar": Nie vorgeschrieben (2003)
Zwei Dinge erscheinen für den normalen Kirchen­besucher als die greifbarsten Ergebnisse der Liturgie­reform des II. Vatikanischen Konzils: das Verschwinden der lateinischen Sprache und die Wendung der Altäre zum Volk hin. Wer die Texte des Konzils selber liest, wird mit Erstaunen feststellen, daß weder das eine noch das andere in dieser Form in den Konzilsbeschlüssen zu finden ist. Gewiß, der Volkssprache sollte - vor allem im Bereich des Wortgottesdienstes - nach dem Konzil Raum gegeben werden, aber die vorausgehende Generalregel des Konzilstextes lautet: «Der Gebrauch der lateinischen Sprache soll in den lateinischen Riten erhalten bleiben, soweit nicht Sonderrecht entgegensteht» (SC 36,1).

Von der Wendung der Altäre zum Volk hin ist im Konzilstext nicht die Rede; sie erscheint erst in nach­konziliaren Anweisungen, deren wichtigste sich in der Nummer 262 der «Institutio Generalfis Missalis Romani», der Allgemeinen Einführung in das neue Römische Meßbuch von 1969 findet. Dort wird gesagt: «Der Hauptaltar soll von der Wand getrennt gebaut werden, so daß er leicht umschritten werden und auf ihm die Zelebration versus populum (zum Volk hin) ausgeführt werden kann...» Die Einführung in die Neuauflage des Missales vom Jahre 2002 hat diesen Text unverändert übernommen, aber am Schluß noch einen Nebensatz angefügt, der so lautet: «Dies sollte der Fall sein, wo immer es möglich ist.» Diese Ergänzung wurde von vielen Seiten als eineVerschärfung des Textes von 1969 in dem Sinn aufgefaßt, daß es nun eine allgemeine Verpflichtung gebe, die Altäre «wo immer möglich» zum Volk hin gewendet zu bauen. Die zuständige Kongregation für die göttliche Liturgie hat aber bereits am 25. September 2000 diese Auslegung abgewiesen und erklärt, das Wort «expedit» (sollte der Fall sein) drücke keine Verpflichtung, sondern eine Empfehlung aus. Die physische Ausrichtung, so sagt die Kongregation, müsse von der geistlichen unterschieden werden. Wenn der Priester «versus populum» feiert, solle seine geistliche Ausrichtung doch immer «versus Deum per Iesum Christum» (auf Gott hin, durch Jesus Christus) sein. Riten, Zeichen, Symbole und Worte könnten den inneren Vorgang des Heilsgeheimnisses nie ausschöpfen, und daher müsse man einseitige und verabsolutierende Positionen vermeiden.

Dies ist eine wichtige Klärung, weil sie das Relative der äußeren symbolischen Formen ins Licht setzt und sich damit Fanatismen entgegenstellt, die in den letzten vierzig Jahren im Streit um die Liturgie leider nicht selten gewesen sind. Zugleich wird die in den äußeren Formen nie vollständig auszudrückende innere Richtung des liturgischen Geschehens verdeutlicht, die für Priester wie für Volk gemeinsam ist: zum Herrn hin - zum Vater durch Christus im Heiligen Geist. (Vorwort zu Uwe M. Lang, Conversi ad Dominum)

Pater Andreas Endl

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